Wer von einer chronischen Krankheit betroffen ist, benötigt nicht nur medikamentöse Hilfe. Gerade die sozialen und psychosozialen Aspekte können Betroffenen zu schaffen machen. In der Beratung von Epi-Suisse sind diese ein häufiges und wichtiges Thema.
Text: Christine Walder
Keine Epilepsie ist wie die andere. Ist eine erfolgreiche medikamentöse Einstellung erreicht, sodass Anfälle verhindert oder vermindert werden können, leben Betroffene meist lange mit ihren vorhandenen Ressourcen, mit denen sie auftretende Einschränkungen kompensieren. Wie die chronische Krankheit verschiedene Lebensbereiche beeinflusst, zeigt sich oft erst mit der Zeit. Eine der häufigen Beschwerden, die in der Sozialberatung bei Epi-Suisse thematisiert werden, ist, dass sich Betroffene nicht mehr so belastbar fühlen. Sie leiden unter Antriebslosigkeit, die Konzentrationsfähigkeit lässt nach, «Multitasking» fällt schwer, emotionale «Dünnhäutigkeit» und Aggressionen können zunehmen. Soziale Kontakte ermüden, die Erholungsphasen dauern länger, was wiederum zu sozialem Rückzug führen kann.
Beschwerden ernst nehmen und ansprechen
Solche Veränderungen sind verunsichernd und belastend. Und es sind Zeichen, die gehört werden wollen: Es ist wichtig, dass Erkrankte lernen, sich selbst gut zu beobachten und wahrzunehmen. Nahestehende Menschen können unterstützen, indem sie die Betroffenen auf allfällig verändertes Verhalten hinweisen: Haben die Betroffenen häufig Termine abgesagt, Abmachungen vergessen, erscheinen müde, aggressiv oder unkonzentriert? Der Austausch könnte wertvolle Hinweise liefern, wie sie besser auf sich achtgeben können und ob Massnahmen notwendig sind.
Eine neuropsychologische Abklärung kann Sinn machen, um schwierig zu fassende Einschränkungen aufzuzeigen. Nicht immer liegt eine krankhafte Störung vor: Die geistige Leistung ist normal, aber die betroffene Person stellt vielleicht bei zunehmendem gesellschaftlichem Leistungsdruck zu hohe Anforderungen an sich selbst und überfordert sich damit. Im besten Fall führt eine Abklärung zu mehr Klarheit, kann entlastend wirken und Strategien können erarbeitet werden.
Der Umgang mit den möglichen Einschränkungen durch die chronische Erkrankung ist von Mensch zu Mensch verschieden. Damit aber keine zusätzlich gravierenden Langzeitfolgen entstehen, lohnt es sich, schon früh Unterstützung zu holen und sich gut zu informieren. Sei dies beim Facharzt oder der Fachärztin, in Selbsthilfegruppen oder mit Hilfe von psychologischer Betreuung. In einer Krise kann eine Psychotherapie sinnvoll sein.
GANZ WICHTIG IST, DASS BETROFFENE NIE OHNE ABSPRACHE MIT DEM NEUROLOGEN IHR ARBEITSPENSUM REDUZIEREN, WENN DIE GESUNDHEITLICHE SITUATION DER GRUND IST.
Wichtig ist allerdings, dass der Therapeut oder die Therapeutin sich mit chronischen Erkrankungen und deren Folgen auskennt. Neu kann die Psychotherapie vom Hausarzt verordnet werden und wird bei anerkannten Therapeuten über die Grundversicherung finanziert.
Soziale Nachteile im Berufsleben möglichst verhindern
Sind von Epilepsie Betroffene medikamentös gut eingestellt und «anfallsfrei», werden sie als zu 100 Prozent arbeitsfähig eingestuft. Dass kann dann zum Problem werden, wenn sie ihren gelernten Beruf unter anderem aus Sicherheitsgründen nicht mehr ausüben dürfen und keine für sie angepasste Arbeit finden oder sich umschulen müssen. Mit einer chronischen Erkrankung ist man auf dem Arbeitsmarkt klar im Nachteil. Das Thema Arbeit gehört dann auch zu den Hauptthemen, die in der Sozialberatung bei «Epi-Suisse» auftauchen
«Ganz wichtig ist, dass Betroffene nie ohne Absprache mit dem Neurologen oder der Neurologin ihr Arbeitspensum reduzieren, wenn die gesundheitliche Situation der Grund ist», betont Caterina Ruch, Sozialberaterin bei Epi-Suisse. Eine Pensumreduktion wirkt sich immer auf die finanzielle Absicherung aus. Kündigungen mit einer chronischen Erkrankung im Hintergrund bringen zudem immer ein erhöhtes Risiko, dass Vorbehalte bei der Krankentaggeldversicherung oder auch bei der Pensionskasse gemacht werden. Komplexe, individuelle berufliche Situationen sollten gemeinsam mit einem Berater oder einer Beraterin erörtert werden, um finanzielle Langzeitfolgen und unnötigen zusätzlichen Stress zu verhindern.
Chronische Erkrankungen haben einen Einfluss auf die gesamte Lebensgestaltung. Langzeitfolgen können sich in Depressionen, Rückzugsverhalten oder auch emotionaler Instabilität äussern und Beziehungen und das Familienleben belasten. In der Sozialberatung kommen auch Themen wie Umgang mit Epilepsie in der Partnerschaft und die Freizeitgestaltung zur Sprache.