Bahnbetriebsdisponent oder wie es heute heisst Zugverkehrsleiter. Das war schon immer sein Traumberuf. Und Daniel Lustenberger konnte ihn auch ausüben – bis ihm die Epilepsie einen Strich durch die Rechnung machte. Heute leitet der 47-Jährige die Selbsthilfegruppe Zürich von Epi-Suisse.
Text: Carole Bolliger
Foto: Markus Hässig
Daniel Lustenberger ist ein positiver, aufgestellter Mann. Er ist zufrieden mit seinem Leben. Der 47 Jährige lebt in einer kleinen Wohnung mitten im Zürcher Niederdorf. Er fährt gern Velo, macht Ausflüge und einmal in der Woche verteilt er Werbepost in Briefkästen, um einen kleinen finanziellen Zustupf zu seiner IV-Rente zu haben. «Und damit ich etwas zu tun habe», ergänzt er. Wir sitzen in einem Restaurant auf der Terrasse, gleich um die Ecke bei seiner Wohnung. Doch bis Daniel Lustenberger die IV-Rente, die ihm zusteht, erhielt, war es ein mühsamer und langer Weg. Er erzählt:
Zum ersten Mal habe ich 2010 IV-Rente beantragt. Bis zum definitiven Entscheid hat es sieben Jahre gedauert.
Weiter möchte er auf das Thema nicht eingehen. Er ist froh, dass jetzt alles klar ist und er von der Rente leben kann. «Ich bin nicht reich, aber für mich stimmts.»
Traumberuf verloren
Daniel Lustenberger wollte schon von Kindesbeinen an Bahnbetriebsdisponent werden. «Heute heisst das Zugverkehrsleiter», sagt er und nimmt einen Schluck aus seinem Glas. Auch heute wäre das noch sein Traumberuf. Doch leider kann er ihn nicht mehr ausüben – aufgrund seiner Epilepsieerkrankung. Aufgewachsen im luzernischen Horw kam er 1998 des Jobs wegen nach Zürich. Da war es schon sechs Jahre her, seit der junge Mann im Militär seinen ersten Anfall hatte: Absencen. Er selber erinnert sich nicht daran. Auch die Ursache wurde nie ganz klar festgestellt, aber er vermutet, dass der chronische Schlafentzug im Militär nicht unschuldig war.
Schnell wurde bei dem jungen Mann Epilepsie diagnostiziert. Die Krankheit bekam man mit Medikamenten innert kurzer Zeit in den Griff, die Anfälle wurden seltener. Heute noch hat Daniel Lustenberger Absencen. Etwa einmal im Monat, vermutet er. «Ich weiss es ja nicht, weil ich dann eben abwesend bin», sagt er mit einem Augenzwinkern. Ein Kribbeln in der Hand hat er manchmal. Das könnte eine Vorwarnung für einen Anfall sein. Müde oder erschöpft ist er danach nicht. Deshalb sind es nur seine Vermutungen.
Leitung der Selbsthilfegruppe
Was er aber weiss: die Krankheit hat ihm seinen Traumberuf genommen. Nach der Diagnose konnte er nicht mehr als Zugverkehrsdisponent arbeiten. «Das war richtig hart, ich habe meinen Job geliebt», sagt er und es ist ihm anzumerken, dass es ihn auch heute noch schmerzt. Intern konnte er wechseln und in der Bahngastronomie arbeiten. «Es war natürlich nicht mehr dasselbe, aber ich war dankbar, dass ich noch etwas machen konnte.» 2010 verlor er leider auch diese Stelle. Offiziell nicht wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung. Aber Daniel Lustenberger ist sich sicher, dass auch die Epilepsie als Grund mitgespielt hat. «Das war ein grosser und schlimmer Einschnitt in mein Leben. Plötzlich wurde ich nicht mehr gebraucht, kein schönes Gefühl.» Dank seines guten privaten Umfelds kam er aber auch aus diesem Loch relativ bald heraus und fand sich mit seinem Schicksal ab.
In seiner Familie und seinem Freundeskreis ist man immer offen mit der Epilepsie umgegangen. «Ich habe das Glück, ein Umfeld zu haben, das mich versteht und an das ich mich jederzeit wenden kann.» Die Krankheit gehöre zu ihm. «Aber sie macht mich nicht aus.»
2020, während der Coronapandemie, erfuhr Daniel Lustenberger von einer Nachbarin seiner Schwester von Epi-Suisse. Genauer von der Selbsthilfegruppe Zürich von Epi-Suisse. Sofort besuchte er die Gruppe. Er sagt:
Es ist toll, neue Leute kennenzulernen. Menschen, die eine gleich oder ähnliche Geschichte haben wie ich. Die das gleiche Problem haben und mich verstehen.
Den Austausch mit anderen Betroffenen schätzt er sehr. So sehr, dass er im vergangenen Winter die Leitung der Selbsthilfegruppe übernommen hat. Der damalige Leiter fragte ihn, ob er übernehmen möchte. «Ich musste nicht lange überlegen. Mir hat die Gruppe so geholfen und tut es heute noch, das möchte ich anderen Betroffenen auch ermöglichen.» Er möchte etwas weitergeben und mit seiner Selbsthilfegruppe einen sicheren Ort schaffen, an dem man sich gegenseitig zuhört, Ratschläge gibt und sich austauschen kann. «Ein Ort, an den sich Betroffene hinwenden können und wo sie verstanden werden.»
Selbsthilfegruppen – sowohl für Betroffene als auch für Angehörige – bieten einen geschützten Raum, um sich jenseits von gesellschaftlicher Stigmatisierung und medizinischen Fachtermini mit der Epilepsie und ihren Konsequenzen für den eigenen Alltag auseinanderzusetzen.