Epi-Suisse hat eine Umfrage zur Arzt-Patienten-Beziehung durchgeführt. Fast 300 Betroffene oder Eltern haben teilgenommen (Rücklauf von 23%). Die Zufriedenheit ist gross. Viele aber wünschen sich mehr Zeit und mehr Verständnis von ihren Ärztinnen und Ärzten. Die Geschäftsführerin Dominique Meier im Interview.
Interview: Carole Bolliger
54% der Patientinnen und Patienten sind gemäss Umfrage mit ihren behandelnden Neurologinnen oder Neurologen „sehr zufrieden“. Und 33% sind zumindest «eher zufrieden». Hat Sie dieses Ergebnis überrascht?
Nein, ich habe das so erwartet. Wir würden in der Beratung sehr viel mehr davon spüren, wenn eine grundsätzliche Unzufriedenheit bestehen würde. Dennoch hören wir immer wieder auch kritische Rückmeldungen, was uns veranlasste herauszufinden, was für Betroffene im Kontakt mit dem medizinischen Behandlungsteam wichtig ist und wo wir als Patientenorganisation unterstützend wirken können. Die Umfrage unter unseren 1200 Mitgliedern bildete dafür ein erstes Stimmungsbild, repräsentativ sind die Ergebnisse hingegen nicht.
Wo zeigte sich denn die grösste Unzufriedenheit mit Behandlungspersonen?
Eine fehlende persönliche Beziehung zur Behandlungsperson ist ein zentraler Faktor für Unzufriedenheit. Grössere Unzufriedenheit zeigen die Befragten auch mit den Möglichkeiten, einen Termin zu vereinbaren und der allgemeinen Praxisorganisation. In diesem Punkt ist umgekehrt auch die Zufriedenheitsrate mit 49% am geringsten. Die grösste Unzufriedenheit besteht aber in Bezug auf die Zusammenarbeit der Behandlungspersonen mit Sozial- und Krankenversicherungen.
Was ist Betroffenen an ihren Behandlungspersonen wichtig?
Neben der fachlichen Kompetenz streichen praktisch alle heraus, dass die menschlichen Qualitäten und das Vertrauen im Kontakt mit der Behandlungsperson stimmen müssen. Diese soll gut zuhören, die Betroffenen ernst nehmen, gut und verständlich informieren und bei der Therapiewahl die Betroffenen gut einbeziehen. Eine Befragte brachte es auf den Punkt: Die menschliche Qualität eines Neurologen kann das Leben eines Patienten verändern.
Das klingt nachvollziehbar und wenig überraschend. Gemessen an der Zufriedenheit scheinen die behandelnden Mediziner diese Anforderungen gut zu erfüllen.
Zu einem grossen Teil ja. In der Umfrage zeigte sich aber auch, dass gewisse Probleme des Systems, Sachzwänge des Gesundheitswesens, diesem Anspruch im Weg stehen und für die Betroffenen auch stark spürbar sind. So hat eine grosse Mehrheit der Antwortenden angegeben, die Behandlungspersonen müssten sich mehr Zeit nehmen können.
Wo sehen Betroffene konkrete Verbesserungsmöglichkeiten?
Was mir aufgefallen ist, sind die Rückmeldungen zu den Informationen: Hier wünschen sich einige eine einfachere Sprache von den Behandlungspersonen oder auch dass die eigenen Beschreibungen von Anfällen in den Worten der Betroffenen Eingang in Arztberichte finden. Probleme scheint es auch zu geben, sobald weitere Fachdisziplinen hinzugezogen werden sollten, sei es Sozialberatung oder auch Abklärungsstellen wie die Neuropsychologie. Und offenbar wünschen sich auch mehr Patientinnen und Patienten Aufklärung über alternative Behandlungsmethoden wie Neurofeedback, CBD und unterstützende Therapien.
Gab es für Sie auch überraschende Ergebnisse?
Ja, wir haben befürchtet, dass Betroffene, die mit dem Behandlungserfolg unzufrieden sind, auch die behandelnden Fachpersonen schlechter beurteilen. Doch es zeigte sich klar: Die Betroffenen abstrahieren hier ganz klar. Die Mehrheit, die den Behandlungserfolg als ungenügend einstufte, zeigte gerade bei den Punkten «persönliche Beziehung» und «transparente Information» sowie «Eingehen auf persönliche Bedürfnisse/Fragen» hohe Zufriedenheit.
Überrascht und gleichzeitig gefreut hat mich aber, wie hoch der Anteil der Betroffenen oder Eltern ist, die sich gezielt auf die Konsultation vorbereiten mittels Fragelisten, Notizen oder Anfallskalendern. Über 70% der Antwortenden gehen vorbereitet zum Arztgespräch.
Welche konkreten Massnahmen und Schlüsse zieht Epi-Suisse aus der Umfrage?
Wir werden einerseits die Unterlagen zur Vorbereitung auf ein Arztgespräch nochmals verbessern und auch mit der Fachorganisation, der Epilepsie-Liga, den Austausch dazu suchen.
Auf politischer Ebene wollen wir vor allem die Hinweise nutzen, dass der hohe Zeitdruck oder Zeitmangel der Ärztinnen und Ärzte für die Patienten spürbar geworden ist und gerade Menschen mit komplexen neurologischen Behandlungen hier Bedürfnisse haben. Im direkten Kontakt mit Ärztinnen und Ärzten werden wir auf unsere Unterstützung in Bezug auf psychosoziale und sozialversicherungsrechtliche Fragen hinweisen.
Schuldgefühle können für Eltern von epilepsiebetroffenen Kindern sehr belastend sein, da sie das Gefühl haben, dass sie die Erkrankung verursacht haben könnten oder dass sie nicht genug tun, um die Symptome zu lindern. Sara Satir ist Coach, Seminarleiterin, Kolumnistin und selber Mutter eines betroffenen Kindes.
Interview: Carole Bolliger
Wie verbreitet sind Schuldgefühle bei Angehörigen von Epilepsiebetroffenen und welche Faktoren können dazu beitragen?
Bei mir in der Praxis erlebe ich viele Eltern von kranken oder beeinträchtigten Kindern, die von Schuldgefühlen geplagt werden. Dazu können verschiedene Faktoren führen: zum Beispiel, wenn es sich um eine Erbkrankheit handelt, an der das Kind erkrankt ist. Die Eltern fragen sich, ob sie etwas weitergegeben haben. Viele Mütter fragen sich, ob sie während der Schwangerschaft etwas falsch gemacht haben. Das sind aber immer irrationale Schuldgefühle, die medizinisch nicht auf Fakten beruhen. Trotzdem haben sehr viele Eltern von betroffenen Kindern damit zu kämpfen.
Auch von vielen Eltern höre ich oft die Frage, ob sie genug für ihr Kind machen. Könnte man in der Begleitung etwas anders machen? Braucht mein Kind mehr oder weniger Therapien? Auch Eltern mit gesunden Kindern kennen diese Fragen und Sorgen. Aber bei kranken oder beeinträchtigten Kindern erhöhen sich die Schuldgefühle klar. Spezifisch bei Kindern, die von Epilepsie betroffen sind, fragen sich die Eltern häufig, hätte man den Anfall verhindern können oder was haben sie falsch gemacht, dass der Anfall überhaupt ausgelöst wurde?
Andererseits gibt es aber auch Eltern, die keine Schuldgefühle haben, und die sind nicht „komisch“ oder „abnormal“.
Es ist höchste Zeit, dass wir den Ball voller Schuldgefühle zurückwerfen
Wie können Angehörige von Epilepsiebetroffenen besser mit der Unsicherheit und den Sorgen umgehen, die mit dieser Erkrankung einhergehen können?
Sehr wichtig ist, dass man nicht immer nur die Erkrankung oder Beeinträchtigung des Kindes sieht, sondern sich auch darauf konzentriert, was das Kind alles kann und was man mit ihm Schönes erlebt. Diese Glücksmomente festzuhalten, kann in schwereren Zeiten sehr stärkend sein. Es fördert die Resilienz. Wichtig ist auch, dass man sich Hilfe holt und diese annimmt. Ein Sprichwort sagt: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind grosszuziehen“. Bei einem kranken oder beeinträchtigten Kind braucht es ein noch grösseres Dorf.
Was sind weitere Herausforderungen, die bei Angehörigen von Epilepsiebetroffenen Schuldgefühle auslösen?
Abgesehen von dem bereits Gesagten kann es eine grosse Herausforderung sein, den Spagat zwischen den Bedürfnissen des betroffenen Kindes, den Bedürfnissen der Geschwister und den eigenen Bedürfnissen zu finden. Häufig haben Eltern auch Schuldgefühle den Geschwistern des betroffenen Kindes gegenüber. Man sollte die Probleme offen und ehrlich ansprechen, nichts beschönigen und bei Bedarf professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Welche Art von Unterstützung und Ressourcen gibt es für Angehörige von Epilepsiebetroffenen, die unter Schuldgefühlen leiden, und wo können sie Hilfe finden?
Ich empfehle, sich mit anderen Eltern von betroffenen Kindern zu vernetzen. Das nimmt das Gefühl vom Alleinsein. Wenn mal Schuldgefühle alleine trägt, verstärken sie sich. Im Coaching oder in der Therapie darüber reden. Sich nicht schämen oder denken, man sei komisch, dass man diese Gefühle hat. Es gibt auch viele gute Bücher zu dieser Thematik. Ich versuche, meinen Klientinnen und Klienten Mut zu machen, darüber zu reden. Für viele ist es immer noch ein Tabuthema. Auch mit Ärzten sollte man darüber reden. Diese machen manchmal unbedachte Aussagen, welche die Schuldgefühle verstärken. Da sollte man klar hinstehen und die Schuld von sich weisen. Es ist höchste Zeit, dass wir den Ball voller Schuldgefühle zurückwerfen. Denn als Eltern von kranken oder beeinträchtigen Kindern trägt man sonst schon genug.
Im November leite ich den Kurs „Selbstfürsorge im Familiensystem“ von Epi-Suisse. Dort werden Denkanstösse und praxisnahe Techniken vorgestellt, die sich gut im Alltag umsetzen lassen, und sei er noch so hektisch. Auch bleibt Raum und Zeit für die Eltern, sich auszutauschen.
Welche weiteren Strategien gibt es, um Schuldgefühle bei Angehörigen von Epilepsiebetroffenen zu bewältigen und wie können diese Strategien unterstützt werden?
Es gibt keine Patentlösung dafür. Wichtig finde ich, dass sich die Eltern bewusst sind, dass alle Eltern hin und wieder mit Schuldgefühlen zu kämpfen haben. Sowohl solche von kranken, als auch von gesunden Kindern. Man sollte den Eltern vermitteln, dass das, was sie machen, genügt. Denn Eltern handeln in bester Absicht mit allen Ressourcen, die sie haben. Und das ist genügend.
Wie wichtig ist es für Angehörige, sich selbst zu pflegen und welche Massnahmen können sie ergreifen, um ihre eigene Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu fördern?
Ein Kind gross zu ziehen ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Nur, wer sich selber Sorge trägt, kann den langen, harten und teils steinigen Marathon meistern. Eltern sollten kein schlechtes Gewissen haben, das Kind mal abzugeben, um Zeit für sich zu haben. Wenn man sich selber gut schaut, kann man auch für sein Kind längerfristig gut sorgen. Selbstfürsorge ist deshalb immer auch Sorge für das Kind.
Wie können Freunde und Familienmitglieder von Angehörigen von Epilepsiebetroffenen dabei helfen, Schuldgefühle zu reduzieren?
Angehörige, Familien, Freunde, Verwandte sollten sich bewusst sein, dass man mit unbedachten Aussagen die Schuldgefühle der betroffenen Eltern noch mehr verstärken kann. Die Verunsicherung ist eh schon gross. Wenn man nicht weiss, was man sagen soll, kann man am besten einfach seine Unterstützung anbieten. Auf unbedachte Aussagen wie „da hättet ihr halt konsequenter sein sollen“ oder «ich würde unbedingt noch Therapie xy ausprobieren» solle man verzichten. Man muss sich bewusst sein, dass es wirklich schon mehr als genug ist, was die Eltern tragen müssen.
Auch Betroffene können Schuldgefühle haben.
Schuldgefühle gehören zur biologischen Ausstattung. Jeder Mensch kann sie haben. Aber nicht bei allen ist es gleich. Es gibt nicht DAS Schuldgefühl. Ich habe auch schon mit Menschen mit Epilepsie gearbeitet, die Schuldgefühle haben und denen es unangenehm ist, wenn es nur um sie geht. Niemand trägt Schuld, das finde ich wichtig. Nicht der, der krank ist und auch nicht der, der gesund ist. Wir alle gehören zur Gesellschaft – genauso wie wir sind. Und jeder hat das Recht auf Teilhabe.
In der Theorie klingt das gut. Aber in der Praxis sieht das anders aus.
Ja und das macht mich wütend, dass die Gesellschaft so exkludierend ist. Wir leben leider in einer genormten Welt. Wenn ein Mensch diese Norm verlässt, muss automatisch jemand schuld sein. Mit dieser Person stimmt ja etwas nicht. Es ist utopisch, aber mein Wunsch ist, dass einfach jeder dazugehört. Dann würde sich auch die Schuldthematik zu einem grossen Teil auflösen. Die betroffenen Personen und Familien bekämen die Hilfe und Unterstützung, die sie brauchen. Ohne gross dafür kämpfen zu müssen.
Und wie kann dieser „utopische“ Zustand erreicht werden?
Wir brauchen mehr offene Kommunikation, mehr Sensibilisierungskampagnen für unsichtbare Hürden. Das ist unter anderem auch die Aufgabe von Organisationen wie Epi-Suisse. Je mehr Sichtbarkeit, desto kleiner die Hürden, die der Inklusion im Weg stehen. Das ist natürlich ein grosses Politikum. Wir in der Schweiz stehen noch ganz am Anfang, aber die Inklusionsinitiative, die im Oktober lanciert wird, stellt sicherlich einen guten und wichtigen Anstoss dar.
Bei den meisten Menschen mit Epilepsie spricht nichts gegen eine Fernreise. Mit den notwendigen Abklärungen und Vorbereitungen sollte allerdings frühzeitig begonnen werden. Epilepsie, Medikamente und Fernreisen: Auf was sollen Epilepsiebetroffene achten?
Fliegen mit Epilepsie
Die Bedingungen der Fluggesellschaften für Passagiere mit Epilepsie sind unterschiedlich. Es empfiehlt sich in jedem Fall, ein mehrsprachiges ärztliches Attest mitzuführen. In diesem sollten Informationen wie die verordnete Medikation, Verhaltensregeln für den Notfall und Angaben, ob allenfalls eine Begleitung notwendig ist, enthalten sein. Gelegentlich verlangt eine Fluggesellschaft ein spezifisches medizinisches Zeugnis, welches die Flugtauglichkeit bescheinigt (fit to fly certificate).
Medikamentenvorrat planen
Es ist ratsam, einen ausreichenden Medikamentenvorrat auf die Fernreise mitzunehmen. Dieser sollte im Handgepäck und in der Originalverpackung transportiert werden. Zudem sollten Sie ein mehrsprachiges Arztzeugnis mit sich führen, welches die Notwendigkeit der Medikamente bescheinigt, um Probleme bei der Sicherheitskontrolle zu vermeiden.
Beachten Sie weiter, dass an den Reisetagen wegen der Zeitverschiebung die Tagesdosis der Medikation angepasst werden muss. Dies kann mit einer Formel berechnet werden. Lassen Sie sich bei Unsicherheiten dazu von Ihrem Neurologen / Ihrer Neurologin beraten
Bei Reisen Richtung Westen (Erhöhte Dosis)
= Anzahl der „gewonnenen“ Stunden / 24x Tagesdosis
Bei Reisen Richtung Osten (Verringerte Dosis)
= (24 minus „wegfallende“ Stunden) / 24x Tagesdosis
Schlaf-Wach-Rhythmus auf Fernreisen
Viele Menschen mit Epilepsie reagieren empfindlich auf Veränderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, was bei Fernreisen aufgrund des Fluges und der Zeitverschiebung bedacht werden sollte. Wann immer möglich sollte eine abrupte Umstellung des Rhythmus vermieden werden.
Werden Impfungen für das Reiseziel empfohlen?
Bei Reisen ins ferne Ausland sind häufig verschiedene Impfungen empfohlen. Allerdings gibt es für bestimmte Impfungen (z. B. Malariaprophylaxe) besondere Empfehlungen für Epilepsiebetroffene zu beachten. Auch dies sollten Sie vorab mit dem Behandler / der Behandlerin besprechen.
Wer übernimmt allfällige Behandlungskosten?
Vor der Reise ist es ratsam abzuklären, ob allfällige Behandlungskosten im Ausland von der Krankenversicherung übernommen werden. Je nach Urlaubsziel ist der Abschluss einer Zusatzversicherung empfohlen, allerdings werden Patienten mit Epilepsie leider oft abgelehnt oder nur unter erschwerten Bedingungen versichert. Lesen Sie darum die Allgemeinen Versicherungsbedingungen vor Vertragsabschluss sorgfältig durch.
Broschüre „Reisen und Epilepsie“ der Schweizerischen Epilepsie-Liga
Broschüre „Epilepsie und Schlaf“ der Schweizerischen Epilepsie-Liga
Notfallkarte von Epi-Suisse (in deutsch, französisch, italienisch)
Vorlagen für Fern- und Flugreisen
Sie haben Fragen oder brauchen Unterstützung?
Unsere Mitarbeitenden der Sozialberatung helfen Ihnen gerne.
info@epi-suisse.ch
Tel.: 043 488 68 80
Nachgefragt bei Prof. Dr. med. Martin Kurthen, Schweizerisches Epilepsie-Zentrum,
Leiter Poliklinik für Erwachsene, Facharzt für Neurologie FMH
«DER LEIDENSDRUCK DURCH SOZIALE UND PSYCHISCHE EINSCHRÄNKUNGEN IST SEHR ERNST ZU NEHMEN»
Martin Kurthen, was können neurologische Langzeitfolgen von Epilepsie sein?
Hier muss man unterscheiden zwischen Epilepsien bei Kindern und bei Erwachsenen und zusätzlich auch wieder zwischen Epilepsien mit oder ohne neurologische Grunderkrankung. Wenn die Epilepsie bei Erwachsenen Ausdruck einer anderweitigen Grunderkrankung wie ein Hirntumor oder eine Stoffwechselerkrankung ist, dann sind mögliche Langzeitfolgen in erster Linie durch diese Grunderkrankung bestimmt.
Und wenn keine neurologische Grunderkrankung vorliegt?
Die epileptischen Anfälle als solche gehen in den meisten Fällen nicht mit neurologischen Langzeitfolgen einher und sind nicht wesentlich fortschreitend. Das bedeutet: Bei Epilepsien ohne fortschreitende Grunderkrankung sind keine schlimmen neurologischen Spätfolgen zu befürchten. Mittelbare Langzeitfolgen können sich hingegen durch Komplikationen der Epilepsie im Laufe der Jahre ergeben, zum Beispiel durch Schädel-Hirn-Verletzungen im Rahmen von anfallsbedingten Stürzen.
Gibt es auch erwiesene Langzeitfolgen, ausgelöst durch die Epilepsie-Medikamente?
Unerwünschte Langzeitfolgen durch Epilepsie-Medikamente kommen vor allem bei denjenigen Wirkstoffen vor, die den Stoffwechsel «ankurbeln» und dadurch zu Mangelzuständen führen können. Dabei handelt es sich meist um ältere Medikamente. Andere unerwünschte Nebenwirkungen der Medikamente zeigen sich meist nicht erst im Laufe einer jahrelangen Behandlung, sondern bereits in den ersten Wochen bis Monate einer Therapie. Insgesamt gibt es derzeit rund 30 verschiedene Medikamente zur Epilepsiebehandlung. Das Risikoprofil für die Entwicklung von Beschwerden ist bei den einzelnen Epilepsiemedikamenten sehr unterschiedlich. Wichtig ist: Im Einzelfall muss bei Auftreten neuer Symptome im zeitlichen Zusammenhang mit der Epilepsietherapie immer gründlich überprüft werden, ob die Medikamente eine wesentliche Rolle spielen oder ob andere Ursachen den Beschwerden zugrunde liegen.
Was empfehlen Sie ihren Patienten, wenn sie von diffusen Beeinträchtigungen wie Konzentrationsstörungen berichten?
Wenn solche Störungen angegeben werden, ist eine weitergehende Abklärung zu empfehlen, um gegebenenfalls gezielte Gegenmassnahmen zu ergreifen. In einem ersten Schritt muss das Problem näher bestimmt werden. Wir neigen als Betroffene oft dazu, unsere eigenen Einbussen als «Konzentrationsstörungen» oder auch «Gedächtnisstörungen» zu beschreiben, obwohl bei näherer psychologischer Untersuchung das Problem vielleicht in ganz anderen Teilbereichen liegt, wie der Aufmerksamkeitsleistung.
Was hilft in solchen Fällen, um dem Problem auf den Grund zu gehen?
Hier hilft zur Klärung eine standardisierte neuropsychologische Untersuchung weiter, die es erlaubt, Art und Ausmass einer erlebten Störung näher zu bestimmen. Im zweiten Schritt wäre die Ursache der Störung zu ermitteln: Ist die Einbusse einfach ein Symptom der Epilepsie, oder wird sie durch die Epilepsiemedikamente ausgelöst oder besteht gar eine psychische Begleiterkrankung wie eine Depression, die auch die geistige Leistung verschlechtern kann? Oder liegt eine Schlafstörung zugrunde, die dann im Wachzustand zu Leistungseinbussen führt? Erst wenn all dies geklärt ist, kann eine gezielte Massnahme ergriffen werden, welche die individuelle Problemursache berücksichtigt.
Weisen Sie in der Beratung ihre PatientInnen auf mögliche soziale und psychische Langzeitfolgen hin?
Oft erleben die PatientInnen die epilepsiebezogenen sozialen und psychischen Probleme zu Recht als so bedeutend, dass sie diese schon von selbst vorbringen. Andernfalls muss der Arzt oder die Ärztin die Initiative ergreifen und die sozialen Aspekte wie Beruf, Sport, Fahreignung, Familienplanung und Partnerschaft von sich aus ansprechen. Die psychische Verfassung ist bei der Epilepsieerkrankung ein zentrales Thema. Das gemeinsame Auftreten von Epilepsien und beispielsweise Depressionen und Anpassungsstörungen ist sehr häufig. Der Leidensdruck durch das psychische Problem oft sogar grösser als derjenige durch die Anfälle selbst. Als Neurologen müssen wir somit aufmerksam sein, um das Vorliegen psychischer Probleme nicht zu übersehen. Manche Neurologen sind auch psychiatrisch versiert. Da die Fachgebiete in der Medizin heute aber stark spezialisiert sind, plädiere ich dafür, bei psychischen Problemen einen fachpsychiatrischen Rat einzuholen und wenn notwendig eine entsprechende Mitbehandlung zu etablieren.
Haben Sie weitere Empfehlungen für PatientInnen?
Mit der Diagnose ergeben sich viele Fragen für die Betroffenen. Um die Sorgen zu bearbeiten, profitieren PatientInnen und ÄrztInnen von der Möglichkeit, in den spezialisierten Epilepsie-Zentren und bei Epi-Suisse weitere Fachpersonen beizuziehen, vor allem aus dem sozialdienstlichen und psychologischen Bereich.
Prof. Dr. med. Martin Kurthen, Schweizerisches Epilepsie-Zentrum,
Leiter Poliklinik für Erwachsene, Facharzt für Neurologie FMH
Text: Christine Walder
«Famoses»-Kurs – Volle Kraft für den Familienalltag mit Epilepsie
Epilepsie bei Kindern – diese Diagnose bringt Familien aus dem Gleichgewicht. Angst, Überforderung und Unverständnis im Umfeld belasten zusätzlich. Epi-Suisse unterstützt Familien mit dem Kurs «famoses», in dem Kinder und Eltern lernen, im Alltag besser mit der Erkrankung zurecht zu kommen.
Epilepsie hat viele Gesichter und ist für Eltern, die betroffenen Kinder und auch die Geschwister mit starken Emotionen verbunden. EEG, MRT, fokale oder tonische Anfälle – plötzlich stehen unbekannte medizinischen Begriffe im Zentrum. Das betroffene Kind muss Medikamente nehmen, obwohl es möglicherweise nicht will. Schulkameraden reagieren mit Unverständnis, ziehen sich vielleicht sogar zurück. Die Angst vor dem nächsten Anfall begleitet die Eltern auf Schritt und Tritt.
Erfahrene, geschulte TrainerInnen
„Famoses“ steht für modulares Schulungsprogramm für Familien mit Epilepsie. Es ist ein Kurs, der speziell für Familien mit einem epilepsiebetroffenen Kind erarbeitet wurde und von besonders erfahrenen und geschulten Trainerinnen und Trainern geleitet wird. Im Zentrum steht, das Wissen und den Umgang mit der Erkrankung zu stärken.
Eltern und Kinder (auch Geschwisterkinder) lernen getrennt voneinander, unter Berücksichtigung ihrer besonderen Perspektive und natürlich altersgerecht, was Epilepsie ist, was im Kopf passiert bei einem Anfall und welche Folgen die Krankheit im Alltag haben kann.
Die Eltern werden im Kurs von eine/r Neuropädiater/in und einer Psychologin/Pflegeexpertin begleitet. «Der Kurs war so hilfreich, weil auch viele unserer persönlichen Fragen beantwortet wurden», berichtet eine Mutter. «Jetzt habe ich das Brevet in Epilepsie erworben und bin für den Alltag und auch im Kontakt mit unserem behandelnden Neuropädiater bestens gewappnet.»
«Ich bin ja gar nicht die einzige»
Der Kinderkurs wird von zwei Kindertrainerinnen geleitet. Die Mädchen und Buben begeben sich als Matrosen und Seemänner spielerisch auf die Insel «Fungus Rock», lernen, warum Medikamente helfen und üben auf der Ferieninsel, wie sie Epilepsie im Alltag, mit Schulkameradinnen und -kameraden oder Bezugspersonen ansprechen können. In vielen Fällen ist der famoses-Kurs für die kleinen Teilnehmenden das erste Mal, dass sie mit anderen betroffenen Kindern in Kontakt kommen. «Ich bin ja gar nicht die einzige mit dieser Krankheit», erzählt Marina, 9-jährig, nach dem Kurs und hält ihrer Mutter stolz das neue Seefahrer-Epilepsie-Diplom entgegen.
Der famoses-Elternkurs richtet sich an Eltern von betroffenen Kindern jeden Alters. Der Kinderkurs ist für Regelschüler im Alter von 8 bis 12-jährig geeignet. Die Kinder müssen lesen können und sollten sich über eine längere Zeit auf den Kurs konzentrieren können.
Erfahren Sie in unserem Veranstaltungskalender [Link auf Veranstaltungen], wann der nächste Kurs stattfindet oder fragen Sie direkt auf der Geschäftsstelle nach an info@epi-suisse.ch oder 043 488 68 80.
23. Januar 2025
19:00 – 20:30 Uhr
6. März 2025 –
8. Mai 2025
15:00 – 18:30 Uhr
17. März 2025
19:00 – 21:00 Uhr